Sozialversicherungspflichtig: Wann eine Scheinselbstständigkeit vorliegt
Die Frage stellt sich bei Selbstständigen zu Beginn der Tätigkeit eigentlich immer: Wenn ich nur einen Auftraggeber habe, bin ich dann scheinselbstständig? Und umgekehrt: Wenn ich freie Mitarbeiter beschäftige, ab wann wird die Grenze zur Sozialversicherungspflicht überschritten und liegt eine Scheinselbstständigkeit vor?
Es macht einen großen Unterschied, ob jemand als freier Mitarbeiter beschäftigt wird, oder als Arbeitnehmer. Denn nur für den Arbeitnehmer entfaltet sich die volle Wirkung des Arbeitsrechts mit all seinen Vorschriften zu Kündigung, Urlaub oder Mutterschutz. Und wenn sich in Nachhinein herausstellt, dass der freie Mitarbeiter in Wirklichkeit ein Arbeitnehmer war, kommen auf den Unternehmer nicht Nachzahlungen für Lohn, Sozialversicherung und Steuern zu.
Seit 2017 ist der Arbeitnehmerbegriff gesetzlich definiert. In §611a Abs. 1 BGB heißt es:
Durch den Arbeitsvertrag wird der Arbeitnehmer im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet.
Relevant ist die Gesamtsituation des Einzelfalles. Die Ausgestaltung im Vertrag ist zwar wichtig, aber entscheidend ist die tatsächliche Handhabung.
Wichtigstes Merkmal ist dabei die persönliche Abhängigkeit. Bloße wirtschaftliche Abhängigkeit ist für die Unterscheidung nicht ausreichend, da sie auch in freien Dienstleistungsverhältnissen gegeben sein kann, etwa bei Architekten, die nur für einen Auftraggeber tätig werden, oder bei Rechtsanwälten, die hauptsächlich einen Klienten vertreten.
Wer sich in die betriebliche Organisationsstruktur eingliedern muß, ist nicht selbstbestimmt. Wenn die gleiche Arbeit von einem Arbeitnehmer erledigt wird, ist das ein Indiz dafür, dass keine freie Mitarbeit gegeben ist. Der freie Mitarbeiter sollte die Freiheit haben, Einzelaufträge abzulehnen. Er sollte Hilfspersonen einsetzen dürfen. Einweisungen, Schulungen und Fortbildungen sollten freiwillig sein.
Die IHK Frankfurt listet unter anderem folgende Hinweise auf eine Scheinselstständigkeit auf:
- Ein fester Tätigkeitsort und feste Arbeitszeiten in den Räumen des Auftraggebers.
- Feste vom Auftraggeber vorgegebene Urlaubsregelungen.
- Genehmigungspflichten für Nebentätigkeiten für andere Auftraggeber.
- Das Unternehmen besitzt kein Firmenschild oder keine eigenen Geschäftsräume.
- Es hat kein eigenes Briefpapier oder eigene Visitenkarten.
- Oder der Unternehmer tritt beispielsweise in der Arbeitskleidung des Auftraggebers auf
Umgekehrt sind folgende Bedingungen ein guter Hinweis auf eine Selbstständigkeit:
- Beschäftigung eigener Mitarbeiter
- Freie Ortswahl und Zeitplanung
- Eigene Betriebsstätte
- Unternehmerisches Risiko (u.a. Verlust von eingesetztem Kapital)
Ob der Selbstständige nun einen, zwei oder mehrere Auftraggeber hat, ist für die Beurteilung seines Status nicht entscheidend. So heißt es bei existenzgruender.de, einem Portal des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie:
Bei der Scheinselbständigkeit geht es nicht primär um die Frage, ob man für einen oder mehrere Auftraggeber tätig ist. Auch wenn Sie sich einen zweiten oder dritten Auftraggeber suchen, wäre jeweils separat zu prüfen, ob es sich hierbei tatsächlich um eine echte Selbständigkeit oder jeweils um ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis handelt.
Vermeintlich freie Mitarbeiter können durch ein Urteil feststellen lassen, ob ein Arbeitsverhältnis vorlag. War dies der Fall, wird sein Lohn nach Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts rückwirkend und für die Zukunft an den eines Arbeitnehmers angepaßt. Sollte der Arbeitnehmer als „freier Mitarbeiter“ weniger verdient haben als ein Arbeitnehmer, ist der Arbeitgeber zu Lohnnachzahlungen verpflichtet. Die Nachzahlungen können neben dem Entgelt auch Urlaubsabgeltungen und Entgeltfortzahlungen im Krankheitsfall erfassen. Doch auch der Arbeitgeber kann Geld zurückfordern, wenn das bezahlte Honorar das Arbeitsentgelt überstieg.
Ab dem Zeitpunkt der Feststellung des Arbeitnehmerstatus ist der Beschäftigte sozialversicherungspflichtig. Die Konsequenzen dafür hat er jedoch nur bedingt zu tragen, denn die Nachzahlung der Sozialversicherungsbeiträge muß gemäß §28 e Abs. 1 SGB IV der Arbeitgeber leisten. Denn er ist zur Zahlung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags verpflichtet.
Den Arbeitnehmeranteil an den Kosten kann der Unternehmer zum Teil vom zukünftigen Lohn abziehen. Sollte der Arbeitgeber die Sozialversicherungsbeträge der Einzugsstelle bewußt vorenthalten haben, kann ihm dafür ein Strafverfahren wegen Sozialversicherungsbetrugs drohen. Der Arbeitnehmer ist rückwirkend auch lohnsteuerpflichtig. In diesem Fall haftet der Arbeitgeber als Gesamtschuldner für die Zahlung der Einkommenssteuerschuld. Das Finanzamt kann also auf ihn zurückgreifen, falls der Arbeitnehmer die Steuerschuld nicht erfüllt.
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Über den Autor Henning Zander
Henning Zander ist Wirtschaftsjournalist und externer Datenschutzbeauftragter (TÜV). Er arbeitet u.a. für FOCUS-Business, Legal Tribune Online und das Anwaltsblatt. Er ist Autor des Buches Startup für Einsteiger